Betitelung und Label legen schon nahe, daß es sich hier nicht um die französischen Titan handelt (die auf ihrem "Popeye Le Road"-Album eines der
skurrilsten Plattencover aller Zeiten verwendeten), sondern um eine deutsche Band, genauer eine aus der DDR. Titan siedelten in Pirna südöstlich
von Dresden, unternahmen 1981 ihre ersten musikalischen Gehversuche und hatten zwei Jahre später eine halbwegs arbeitsfähige Mannschaft beisammen,
mit der sie erste Gigs absolvierten. Schon ein Jahr später wurde das erste Demo aufgenommen, der Einfachheit halber "Demo 1984" betitelt und immerhin
mit acht Songs bestäckt, von denen sieben auf vorliegender CD zu hören sind; lediglich das abschließende Stück, eine Bearbeitung von
Beethovens "Ode an die Freude", blieb in den Archiven, was schlicht und einfach Platzgründen geschuldet sein dürfte, denn die CD reizt die
maximale Spielzeit von 80 Minuten fast aus (wobei es natürlich auch möglich ist, daß schlicht und einfach keine vervielfältigungsfähige
Vorlage mehr existiert hat). 1987 entstand ein zweites Demo, wieder simpel "Demo 1987" betitelt, fünf Songs enthaltend und vier davon zur CD beisteuernd
(der fünfte ist eine Neufassung von "Hey Bon", auf der CD wählte man von den beiden Versionen die ältere von 1984). Fünf weitere Songs
stammen vom 1989er Demo "Crusaders Of Death", das aufgrund des Auseinanderbrechens der Band aber nie fertiggestellt worden war - der hier zu hörende
Gesang bildete nur eine Pilotspur ohne final ausgefeilte Lyrics, und auch Songtitel standen noch nicht fest. Der siebzehnte und letzte Song der CD
schließlich ist eine Liveaufnahme vom Juni 1989 namens "With The Devil". Dieser und der Demotitel machen schon klar, daß auch Titan eine typische
Entwicklung von DDR-Metalbands durchlaufen haben, und das in zweierlei Hinsicht. Einesteils mußte man als DDR-Metalband, um auf offiziellem Wege
an Veranstaltungen und eventuell Airplay zu kommen, deutsche Texte schreiben, was Titan auf ihren ersten beiden Demos auch taten, bevor sie, desillusioniert
von der Entwicklung, 1989 der staatlichen Bürokratie den erhobenen Mittelfinger zeigten und sich mit dem Verfassen englischer Lyrics nicht mehr an die
vorgegebenen Spielregeln hielten (eine analoge Entwicklung hatten ja auch Macbeth/Caiman, denen die erste Veröffentlichung von German Democratic
Recordings gewidmet war, durchlaufen). Zum anderen gehörten auch Titan zu den Vertretern der "Härter und schneller"-Bewegung, was sich anhand
der chronologischen Anordnung der Stücke gut durchhören läßt. Das erste Demo bot ungeschliffenen, aber noch relativ
gemä&szlifg;igten Metal (der nichtsdestotrotz für eine DDR-Band von 1984 immens hart war!), während das zweite, nicht zuletzt auch bedingt durch
den druckvolleren Sound, schon einiges an Härte drauflegte und die 1989er Aufnahmen schließlich deutliche Thrasheinflüsse erkennen lassen,
wenngleich man die in den Liner Notes angefährten Slayer als Referenzband nirgendwo heraushören kann, weder die immens brutalen Slayer der
Frühphase noch die vielschichtigeren der Phase ab "South Of Heaven". Als Vergleich für das Material von 1984 könnte "Plni Energie" der
Tschechen Citron dienen, wobei zu bemerken ist, daß dieses Album erst 1986 erschien bzw. in seiner englischsprachigen Fassung "Full Of Energy"
(die auch in der DDR eine gewisse Verbreitung genoß und es selbst bis in die Stadtbibliothek von Karl-Marx-Stadt schaffte) noch ein Jahr später -
das verdeutlicht, wie Titan durchaus am Puls der Zeit waren bzw. für Ostblockverhältnisse dieser sogar voraus. Trotz ihres noch jungen Alters waren
die Musiker durchaus fit an ihren Instrumenten, wie beispielsweise das Gitarrensolo in "Wir wollen leben" zeigt, und auch arrangementseitig verbrieten
sie schon gute Ideen, wenn man beispielsweise "Spießer" heranzieht, das einen schleppenden Mittelteil in das übliche powernde Material
einbettet; auch "Hey Bon" entwickelt sich von seinem balladesken Beginn in interessanter Weise weiter, und die Harmoniestruktur von "Nie mehr allein"
war 1984 noch keineswegs so ausgelutscht wie heute. Trotzdem muß natürlich das 1987er Demo als großer Fortschritt gewertet werden,
und das aus mehreren Gründen. Zum einen ist der Sound deutlich besser, was man speziell am Schlagzeug hört, wo man plötzlich feststellt,
daß Dirk Dawid auch mit der Bassdrum umzugehen weiß. Zum zweiten waren die Jungs spieltechnisch ein gutes Stück weitergekommen, vor
allem die Gitarrensoli erreichen ein außerordentliches Niveau. Drittens hat Kai-Uwe Schneider mit seiner Stimme umzugehen gelernt - der angerauhte
Gesang klingt nicht mehr orientierungslos wie oft noch auf dem ersten Demo, sondern kontrolliert, trotzdem aggressiv, aber das immer noch sehr
melodiöse Material nicht konterkarierend. Viertens war das Durchschnittstempo deutlich in Richtung Speed angehoben worden. Fünftens
schließlich macht das Instrumental "Metalfever", von dem es übrigens ebenfalls mehrere Fassungen gibt (sofern die auf späteren Demos
nicht mit der 1987er Fassung identisch sind), deutlich, wofür eine Metalband in der DDR aus Sicht der Fans eigentlich da war: als Ersatz für die
westlichen Bands, die man in der DDR üblicherweise nicht zu Gesicht bekam. Immerhin hat Alleinsongwriter Kai-Uwe Schneider hier gleich zwei
klassische Judas Priest-Gitarrensolomelodien nahezu 1:1 übernommen. Überhaupt taugen Judas Priest zur "Defenders Of The Faith"-Phase gut als
Vergleich für die 1987er Titan-Songs, aber auch Elemente der frühen Helloween lassen sich finden (letztere übrigens auch im Gesang in
den tieferen Passagen, schön feststellbar an "Unklar", wo man hier und da wirklich den alten Kai Hansen zu hören glaubt). Mit diesem Material
wären Titan durchaus auch international konkurrenzfähig gewesen - mit dem von "Crusaders Of Deth" hingegen wohl eher nicht, zumindest nicht
in der vorliegenden Form. Der Sound ist eher als Rückschritt zu werten (am wieder polterigeren Schlagzeug festzumachen), wobei das auch an der
Tatsache liegen mag, daß das Demo halt nie fertig wurde und hier nur eine Arbeitsfassung vorliegt. Ebenjener Grund mag auch als Entschuldigung für
die Vocals dienen - nachdem sich Kai-Uwe auf dem 1987er Material durchaus gefunden hatte, verliert er sich hier wieder, diesmal in eher ungeschickt
wirkendem Gebrüll mit einem gewissen Rachendrachen-Faktor. Problematisch ist allerdings auch, daß das Material eher orientierungslos wirkt,
wie gleich "History Of Terror" deutlich macht, das Assassinsche Verrücktheit mit eher an den bekannten Power Metal erinnernden Passagen zu koppeln
versucht und ganz nebenbei mit dem langsamen Riffgeschiebe noch den Nu Metal erfindet. Zwar finden sich auch hier noch reichlich gute Ideen, aber
irgendwie spiegelt das Material den zerrissenen und desillusionierten Zustand der Band wider, die sich dann noch während der Aufnahmen auflöste,
als Kai-Uwe Schneider einen Ausreiseantrag stellte und Gitarrist Matthias Eschrich und Bassist Rico Kaps wenig später über die Tschechoslowakei
die DDR verließen. So endete die Geschichte einer DDR-Metalband, die kurzzeitig demonstrierte, daß unter günstigeren strukturellen Bedingungen
viel mehr aus ihr hätte werden können, und im Gegensatz zu diversen anderen altgedienten DDR-Bands kam es hier auch nicht zu einer Reunion,
wenngleich Kai-Uwe und Matthias 1994 nach ihrer Rückkehr an die Elbe wieder gemeinsame Sache machten - diesmal aber in einer eher am Black Metal
orientierten Band namens Saxorior. Einen Sinn fürs Theatralische hatten sie ja schon immer, wie auch viele der Bookletfotos oder die Ansage nach
dem Livetrack zeigen ... Neben dem dokumentarischen Charakter kann man besonders das 1987er Material auch aus rein musikalischen Gründen
genießen (für das andere muß man dann schon etwas hartgesottener sein ...), so daß sich ein Erwerb der CD zweifellos lohnt.
(geschrieben von Roland Ludwig im November 2008)
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