Plattform gehörten zu den wenigen Metalbands, die schon zu DDR-Zeiten einen offiziellen Release vorweisen konnten:
Vier Songs wurden anno 1987 auf dem Amiga-Sampler "Kleeblatt Nr. 22" veröffentlicht, drei von ihnen finden sich auch
auf vorliegendem Album wieder, der vierte, der CD-Namensgeber "Heavy-Braut", gar gleich doppelt, aber eben gerade nicht in
der Fassung vom Sampler. Der Reihe nach: "He Doktor (Der Simulant)" entstand 1983 und erregte wegen seines Textes, der nichts
mit der in der DDR gewünschten Arbeitsmoral zu tun hatte (es geht um Krankfeiern), seinerzeit öffentlichen Anstoß,
zumal der fröhliche Hardrock musikalisch den Text eher untermauert als ihn konterkariert. Hier singt noch ein Mensch namens
Jerry, der aber eher in Richtung Bluesrock gehen wollte, so daß Bandkopf Detlef Kotte die Band zunächst auflöste und
später komplett neu formierte, zunächst mit sich selbst am Mikro. Er merkte aber bald, daß das nicht die Ideallösung
war, konzentrierte sich in Zukunft aufs Baßspielen und Backingsingen, und man suchte einen neuen Sänger, fand aber keinen
geeigneten und gab daher Michaela "Micky" Burkhardt eine Chance. Das stellte sich für diese Zeit als Volltreffer heraus, wenngleich
die ersten beiden konservierten Songs dieser Besetzung vom April/Mai 1986, das recht harte "Zieh Leine" und die Halbballade "Fliegen",
noch eher eine Findungsphase verdeutlichen, wie man mit dieser neuen Besetzung umgehen und ihre Stärken herauskristallisieren
sollte. Das Ergebnis dieses Findungsprozesses demonstrieren die nächsten beiden Songs, nur ein Vierteljahr später aufgenommen:
Schon die Frühfassung der "Heavy-Braut", eines kultigen Songs im treibenden gehobenen Midtempo, überzeugt weitestgehend, und
vor allem Micky hatte ihre Rolle als leicht kreischige Sirenenstimme gefunden. Lediglich die Vocals von Detlef, die hier in die Bridge
eingeflochten werden, überzeugen in dieser Frühfassung noch nicht ganz, da sie zu stark effektbeladen wurden - das hat die Band
dann ein Jahr später in der Zweitfassung organischer hinbekommen, und dort klingt Detlef an dieser Stelle wie der Gitarrist von Torfrock,
der in "Beinhart" die Bridges singt. Selbige Zweitfassung bleibt exklusiv dem Amiga-Sampler vorbehalten, aber der ist ja auch gerade in der
Amiga-Heavy-Box wiederveröffentlicht worden, so daß einer Komplettierung der Sammlung kein Hindernis entgegensteht. Die Halbballade
"Lichter der Nacht", das speedmetallische "Feuer" und das auch recht schnelle, allerdings gekonnt mit einer bombastischen ersten Bridgehälfte
kombinierte "Abgehaun" (das auf dem Sampler in "Sechzehn" umbenannt werden mußte, allerdings trotz des auch nicht gerade DDR-Themen-kompatiblen
Textes, in dem es um eine jugendliche Ausreißerin geht, zumindest erscheinen durfte) stehen parallel auf dem Sampler bzw. der Box und auf
der hier reviewten Kompilation und zeigen Plattform auf einem der Höhepunkte ihres Schaffens. Aus der gleichen Aufnahmesession wie die Frü
hfassung von "Heavy-Braut" stammt allerdings ein weiterer Höhepunkt, nämlich "Haut und Haar", für DDR-Verhältnisse des
Jahres 1986 erneut erstaunlich melodicspeedlastig und auch heute noch hörenswert, allerdings auch damals hoch gehandelt: Im Dezember 1986
stieg der Song in der Hörerhitparade "Beat-Kiste" auf Jugendradio DT 64 von Null auf Eins ein. Die DDR-Metaller hatten eben doch Geschmack.
Oder doch nicht? Unter den sieben Livesongs, die auf der Raritätenscheibe stehen, findet sich jedenfalls auch Warlocks "Shout It Out", schon
damals keine Sternstunde des Schaffens der Pesch-Combo, die immer wieder als musikalischer Vergleich für Plattform herhalten mußßte.
Die Idee, sowas zu covern, konnte jedenfalls nur in der metallischen Mangelwirtschaft der DDR entstehen. Da ist die Wahl des anderen Covers
(gemäß der Ansage übrigens wohl bei "Metal für Nikaragua" oder einem ähnlichen Event mitgeschnitten, bei dem an das Publikum
kein Bier ausgeschenkt werden durfte - sowas gab's auch fast nur in der DDR) schon anspruchsvoller: "Bloodstone" von Judas Priest, zudem ein
interessantes Experiment, Rob Halfords Gesang von einer Frau übernehmen zu lassen, die bedarfsweise ähnlich kreischen konnte wie der Brite.
Leider erweist sich Micky gerade in diesem Mitschnitt stimmlich als äußerst treffunsicher, was den Hörgenuß doch merklich
beeinträchtigt und das interessante Experiment ein wenig gegen den Baum fährt. In den eigenen Songs agiert sie etwas sicherer, aber
trotzdem immer mal neben der Spur, während der historische Sound logischerweise den technischen Möglichkeiten geschuldet ist, auch
wenn das blecherne Intro von "Heavy-Braut" Schlimmeres befürchten läßt, als man dann letzten Endes zu hören bekommt - nur
die zweite Gitarre bleibt in einigen der Songs sehr wenig präsent, was bei Wechselleads dann zu Problemen führt. Das kann man schön
hören, wenn man "Heavy-Braut" (zweite Gitarre kaum hörbar) und "Der Schweinehund" miteinander vergleicht. Letzterer ist eine von zwei
Eigenkompositionen, zu der keine Studiofassung auf der Kompilation steht - ein locker groovender Song mit einer aberwitzigen Solokonstruktion.
Auch der zweite Song dieser Kategorie, "Fieber", ist hörenswert; er macht deutlich, daß auch Iron Maiden zu den Einflüüssen der Band
zählten, und wer genau hinhört, entdeckt auch noch ein bekanntes klassisches Thema innerhalb des Songs, wohingegen die Toccata d-Moll
BWV 565 in "Heavy-Braut" nur als Intro dient. Letztgenannter Song steht schon in der Spätfassung im Liveset, also mit dem eher natürlich-rauhen
Bridgegesang, wobei Mickys Gestaltungsversuche, beispielsweise Wiederholungen bestimmter Textzeilen in gesprochener Form, oftmals eher einen
bemühten Eindruck hinterlassen. "Abgehaun" scheint live einen Tick langsamer gespielt worden zu sein als in der Studiofassung, wobei die
letzte Passage schneller wird - prüfe nach, wer gerade ein Metronom zur Hand hat. Der Speed von "Haut und Haar" schließt sich unmittelbar
an und elektrisiert ähnlich wie die Studiofassung - ironischerweise hat man in diesem Song eine der erwähnten Warlock-Komposition
ähnliche, allerdings etwas simplifizierte Refrainstrukturierung gewählt, und die paßt hier perfekt rein. Wer nicht mehr perfekt
reinpaßte in die Band, war Micky, die 1988 zugunsten einer Solokarriere ausstieg bzw. aussteigen mußte. Der midtempolastige Hardrocksong
"Gefahr" von Anfang 1988 war ihr letztes Lebenszeichen mit Plattform, denn das in der gleichen Session eingespielte "Orient-Express" (auch unter
"Truck" bekannt) verblieb in instrumentaler Fassung, macht aber auch so jede Menge Hörspaß: flotter Beat, schöne, leicht orientalisch
angehauchte Hauptmelodie, starke Gitarrenarbeit und nur wieder in manchen Breaks zu viele Effekte, in diesem Falle auf den Drums. Eine neue
Sängerin fand sich nicht, Mickys Nachfolger war wieder männlich, und mit ihm wurden anno 1989 die letzten beiden Songs der Kompilation
eingespielt, das erneut schnelle, stilistisch auf Bands wie Mind Odyssey vorausweisende oder, wenn man so will, sich an deren Vorgängern
Merlin orientierende "Stapellauf" und das in eine ähnliche Kerbe hauende "Kalt und heiß". Nach der Wende waren Plattform eine der sehr
wenigen alten Ostbands, die trotz etlicher Umbesetzungen kontinuierlich weiterarbeiteten, wenngleich in der neuen Schreibweise Platvorm.
Allerdings bekam man mit den Eigenkompositionen kein Bein auf den Boden (es war ja auch gerade die Zeit, als im Nirvana-Wahn die rockenden bzw.
metallischen Traditionalisten generell schief angesehen wurden), weshalb man zu einer Coverband mutierte und als solche noch heute arbeitet.
In der aktuellen Besetzung spielen mit Bandkopf Detlef Kotte und Drummer Ulli Ulbrich noch zwei Mitglieder der Achtziger-Plattform. Die CD ist
mit 67 Minuten nicht ganz bis zum Rand gefüllt, so daß vielleicht auch noch ein Einblick in die letzten Songs der Frühneunziger
hätte gewährt werden können, aber möglicherweise erblickt dieses Material ja auch noch in einem anderen Kontext das Licht
der Welt. Derweil greifen Nostalgiker, Ostalgiker und alle, die ehrlichen Metal zwischen klassischem Hardrock und Melodic Speed mögen,
bei der vorliegenden CD bedenkenlos zu und holen sich parallel auch gleich noch die im Text erwähnte Amiga-Heavy-Box.
(geschrieben von Roland Ludwig im Oktober 2009)
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