Rochus gehörten in den letzten Jahren der DDR zu den durchaus arrivierten Bands der hiesigen Metalszene und schafften Dinge,
die einem Großteil der anderen Bands verwehrt bleiben sollten. So landete "Let's Trash" auf einem respektablen 45. Platz in der
DDR-Jahreshitparade 1989 (die stilübergreifend ermittelt wurde, so daß sich Rochus nicht nur der metallischen Konkurrenz, sondern
auch der ganzen übrigen Pop- und Rockszene gegenüber beweisen mußten), und in der von DT 64 zusammengestellten DDR-Hitliste 1990
landete man mit "Haunting In Your Brain" gar auf Platz 18 und ließ Schwergewichte wie Karat, Electra, Moshquito oder die kultigen
Amor & die Kids (die Band, bei der Tobias Künzel spielte, bevor er mit den Herzbuben, aus denen dann Die Prinzen werden sollten,
bekannt wurde) hinter sich. "Let's Trash" landete außerdem auf dem von Amiga herausgebrachten Sampler "Rock-Bilanz '89 - Das Album"
und fand über die Plattenfirma zudem den Weg gen Westen, nämlich auf den von Roadrunner zusammengestellten Sampler "Thrash The Wall",
für den als Zugpferde Songs von Helloween, Motörhead oder Sodom eingespannt wurden und Rochus als eine von wenigen DDR-Bands vertreten waren.
Die Bandgeschichte war zu diesem Zeitpunkt schon einige Jahre alt und wird auf der vorliegenden CD chronologisch aufgearbeitet.
1986 begannen die Erfurter zu spielen und hatten nach zwei Bassistenwechseln schnell eine recht stabile Formation zusammen, die nur
1988 nochmal einen Wechsel verzeichnete, weil Gitarrist Heiko zur Armee eingezogen und durch Silvio ersetzt wurde. Im Mai 1988 entstand
ein Demo mit fünf Tracks plus Intro, das offensichtlich komplett auf der CD gelandet ist, wie es auch die detaillierte Tracklist ausweist,
während die Liner Notes behaupten, der Song "Frankenstein" habe auf diesem Demo gestanden - möglicherweise eine Verwechslung mit "Mithridates",
dem letzten Song des Demos. Dann folgt bis Track 11 ein Gemisch aus Demo- und Rundfunkproduktionen, wobei "Excalibur" und "Let's Trash"
hier noch einmal vertreten sind, letzteres in der Fassung, wie es von Amiga für "Thrash The Wall" weiterlizenziert wurde. Vor allem
erstgenanntes läßt schön die Evolution des Bandsounds erkennen: Die leichten powermetallischen Einsprengsel der 1988er Urfassung weichen
einer konsequenteren thrashigen Herangehensweise, die auch der Liveinterpretation recht nahekommt. Zwischen diese Songs sind Ausschnitte
aus einem Radiointerview vom Februar 1990 geschnitten, in dem Sänger Tobias, Manager Toralf und Gitarrist Heiko (der offenbar nach seinem
Wehrdienst zur Band zurückgekehrt war, wozu die Liner Notes aber keine Angaben machen) in niedlich anzuhörendem zentralthüringischem
Dialekt interessante Einzelheiten aus dem Alltag einer DDR-Metalband zur Wendezeit zum besten geben. Da erfährt man dann auch, daß es
eine Promotour zu "Thrash The Wall" geben sollte, und zwar mit folgendem Billing: King Diamond, Kreator, Chroming Rose und Venom - man
lasse sich das mal auf der Zunge zergehen! Die im Studio von Electra-Bandkopf Bernd Aust eingespielte Fassung von "Let's Trash" hingegen
überrascht mit einem relativ klaren Gesangsstil von Tobias, den es außer in einigen bewußt als kontrastierende Klargesangspassagen (z.B.
in "Excalibur") angelegten Momenten sonst im Rochus-Schaffen nicht gibt - er pflegt sich im Regelfall deutlich rauher zu artikulieren.
In "Poltergeist" findet sich allerdings ein ähnlich appellierender Tonfall. Die beiden anderen regulären Studioproduktionen "Haunting
In Your Brain" und "Frankenstein" wurden bei Sieghart Schubert (Ex-Sieghart Schubert Formation bzw. Schubert-Band) in Quadenschönfeld
aufgenommen. Ersteres deutet schon an, daß Rochus die Wendezeit nutzten, um von der deutschen auf die englische Sprache umzustellen.
Das fand seinen kompletten Niederschlag dann im nächsten Demo, das unter dem Titel "Years Of Ignorance" im April 1990 eingespielt
wurde - Heiko hatte es im genannten Rundfunkinterview bereits angekündigt: Die Ersatzfunktion der DDR-Metalbands als Coverbands war
weggefallen, weil man jetzt endlich auch die Originale live sehen konnte, und die einzige Chance bildete daher, mit Eigenkompositionen
weiterzuarbeiten und zu versuchen, sich einen Namen zu machen. Sechs derselben landeten auf dem genannten Demo und fünf von diesen
auf der vorliegenden CD (der sechste ist eine Neueinspielung von "Haunting In Your Brain", wobei allerdings auch "Plastic Life" nicht
neu ist). Hier singt Tobias nicht nur englisch, sondern auch noch rauher als früher, und die powermetallischen Einsprengsel waren
endgültig verschwunden - Rochus hatten sich zu einer reinrassigen Thrashband entwickelt, die allerdings mit geschickten Tempovariationen
für Abwechslung sorgte und sich nicht der reinen Hochgeschwindigkeitsbolzerei hingab, wenngleich diese durchaus im Fokus des Schaffens
stand. "Black Death" darf da durchaus als prototypisch gelten, wobei die Fähigkeit zur songwriterischen Variation aber auch schon in
früheren Aufnahmen zutagegetreten war, etwa in der recht dramatisch gestalteten Einleitung zu "Excalibur" oder im Mittelteil von
"Mithridates". Ganz große Geniestreiche finden sich im Schaffen der Band allerdings nicht, so daß die mit einem wie schon bei der
Deathtrap-Scheibe eher seltsamen Cover, aber dafür recht ordentlichem Sound (Patrick W. Engel hat aus den alten Kassetten einiges
rausholen können) ausgestattete CD ein wichtiges Zeitdokument, aber nicht unbedingt ein Pflichterwerb ist - außer vielleicht für
die Leute, die sich damals "Thrash The Wall" gekauft haben und schon immer mal wissen wollten, was denn aus dieser Band geworden ist
und was es noch so von ihr gibt. Die letzte Besetzung nach dem Ausstieg von Bassist Hans-Ulrich und Sänger Tobias hat vor ihrer 1991er
Auflösung offenbar keine Tondokumente mehr hinterlassen, und so rücken die Livefassungen von "Excalibur" und "Let's Trash" die CD in
die Nähe ihrer Kapazitätsgrenze, womit beide Songs je dreimal vertreten sind. Hier wird dann auch das Chronologieprinzip, das schon
in der CD-Mitte mal durchbrochen worden war, noch ein weiteres Mal beiseitegeschoben, aber dafür eine Art Rahmen um die CD geschaffen:
Die beiden Mitschnitte stammen von einem Gig in Hundeshagen am 25.06.1988. Das liegt übrigens im nordwestthüringischen Eichsfeld,
keine 10 Kilometer südlich des bereits in Niedersachsen und damit im NSW, dem nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet, befindlichen
Duderstadt, also nur knapp außerhalb der 5-Kilometer-Sperrzone an der DDR-Grenze, die man nur mit einer Spezialerlaubnis betreten
durfte. Daß vor diesem Hintergrund in Hundeshagen anno 1988 überhaupt ein Metalkonzert organisiert werden konnte (das doch üblicherweise
eher Leute anzieht, die wenig staatstragende Wirkung entfalten und die das Regime in Grenznähe daher nicht gerne sah), verwundert
erstmal und dürfte nur mit dem bekannten Starrsinn der Eichsfelder erklärt werden können, die es ja auch schafften, ihre starke
katholische Prägung trotz allen DDR-Drucks zu erhalten. Aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte, die mit Rochus trotz des
Bandnamens (und der Titelheilige hat ja auf dem Demo sogar ein Instrumentalstück gewidmet bekommen) wohl weniger gemeinsam hat,
aber nicht weniger spannend ist.
(geschrieben von Roland Ludwig im Dezember 2012)
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