Musical Massacre waren Nachbarn von Deathtrap, deren Schaffen ja bereits von German Democratic Recordings aufgearbeitet
worden ist, und über Gitarrist Olaf Gerold, der Bestandteil des aktuellen MM-Line-ups ist und bei Deathtrap viele Zügel
in der Hand hielt, haben beide Bands auch eine strukturelle Verbindung. Vor der 2012er Reunion lagen allerdings 20 Jahre
Inaktivität und vor denen wiederum vier Jahre Aktivität, darunter zwei als Bloodbath und dann zwei als Musical Massacre.
Letztgenannte Periode erbrachte zwei Demos als offizielle Tonzeugnisse, und diese bilden zusammen mit einem Proberaummitschnitt
die 73 Minuten der nun vorliegenden CD. Undergroundfanatiker werden das Material des ersten Demos "The Evil's Incarnation"
möglicherweise bereits in anderer Form in der Kollektion stehen haben, denn es wurde 1999 in Vinylform wiederveröffentlicht.
Das Material auf der vorliegenden CD ist allerdings reziprok chronologisch angeordnet, so daß der Silberling mit dem zweiten,
1992 eingespielten Demo anhebt, das der gesamten Scheibe auch den Titel verlieh, obwohl deren Coverbild eine Neuzeichnung
des Covers des ersten Demos zeigt (unappetitlich genug sind freilich beide Democovers und auch das CD-Cover, und auch das
Textgut dürfte eher zur unangenehmen Sorte gehören). Musical Massacre spielten Death Metal, den das Infoblatt mit Asphyx und
Autopsy vergleicht - aber auch finnische Bands wie Abhorrence tauchen immer mal im Gedächtnis des Hörers auf, und will man in
der deutschen Szene bleiben, taugen Torchure als Referenzband, wobei Musical Massacre nicht deren zumindest auf dem Debütalbum
spürbaren Hang zu extrem doomigen Passagen aufwiesen, wenngleich auch sie eher selten aufs Gaspedal drückten, sondern sich
zumeist im Midtempo durch die Kompositionen schlängelten und nur gelegentlich Ralph "Olga" Richter die Schlagzahl nach oben
schrauben ließen. Zudem machten sie nicht mal vor Akustikpassagen halt, wenngleich sie sich nicht mehr so weit nach vorne
trauten, diese songstrukturtragende Funktionen erfüllen zu lassen. Dafür bauten sie klassische Passagen ein, so gleich im
Intro des zweiten Demos und dann nochmal in der Einleitung von "Fear Of Pain", wobei sie bevorzugt Material von Carl Orff
nutzten, was damals hier in Sachsen mehr oder weniger die "Standardquelle" war, die beispielsweise auch Healer angezapft
hatten, sich möglicherweise auf das Sepultura-Vorbild berufend, die zu "Arise"-Zeiten "O Fortuna" als Showintro benutzt
hatten (zwar schöpften auch Iced Earth auf ihrem Meisterwerk "Night Of The Stormrider" aus der Orff-Quelle, taten das
allerdings in deutlich originellerer Weise und kommen allein schon stilistisch und wahrscheinlich auch chronologisch hier
nicht als Inspiratoren in Frage). Interessanter dürfte aber die Frage nach der Herkunft des orientalisch angehauchten
Mariengesangs, der das Intro des ersten Demos bildet und dort in einer Kriegsgeräuschkulisse mündet, sein. Kurioserweise
outen sich Musical Massacre darüber hinaus als Fans des Wörtchens "of" - gleich fünf von sieben Songs des zweiten Demos
beinhalten dieses Wort im Titel, dazu drei von acht des ersten Demos und zwei von vier des Proberaummitschnitts. Rein
stilistisch hat sich über die zwölfeinhalb Monate, die zwischen den drei Aufnahmen liegen, bei Musical Massacre wenig
geändert, die jüngeren Tracks machen lediglich eine gewisse gestiegene Reife bei der Gestaltung von Tempowechseln deutlich,
und Silvio Zeller setzt in seinem tiefen Gebrüll zumindest ansatzweise verschiedene Tonlagen ein, während das alte Material
noch weitgehend in ein und derselben Lage gehalten ist. Interessanterweise kommen aber auch in den Tracks des ersten Demos
schon längere Akustikpassagen vor, und in "Macabre Ritual Of The Sadistic Executor" finden diese auch tatsächlich Eingang
in die Grundstruktur des Songs, was die Gestaltung der ersten Strophen angeht. "In The Grip Of Inquisition" wiederum dürfte
der doomigste Song der Bandgeschichte sein (die späten Prügeleinlagen wirken ein wenig bemüht). "Reverend Of Hel" und "Nosferatu"
sind zweimal vertreten, nämlich auf dem ersten Demo und auf dem Proberaummitschnitt, so daß der Interessent auch hier Vergleiche
anstellen kann (beide Aufnahmen liegen nur etwa einen Monat auseinander); der Sound dieser beiden Quellen kann mit dem des
zweiten Demos nicht mithalten, ist aber trotzdem durchaus hörbar (da sind deutlich schlechter klingende Aufnahmen als Kult
geltender skandinavischer Bands im Umlauf). Die Liner Notes datieren den Proberaummitschnitt übrigens irrig auf Anfang 1991,
während das eine Seite weiter vorn abgebildete Inlay des Tapes den 6.10.1991 ausweist. Neben den strukturellen Angaben und
den vier Seiten Bandhistory gibt es auch noch einige Fotos der alten und der seit 2012 aktiven Besetzung, wobei das große
alte Bandfoto auf der Rückseite dann doch unfreiwillig zum Schmunzeln animiert, wenn man da den linken Gitarristen mit Schnauzbart
und im (vermutlich selbst hergestellten) Beherit-Shirt mit umgedrehtem Kreuz sieht und dazu seine Leopardenmuster-Gitarre
erblickt. Der etwas bedröppelt dreinblickende Schlagzeuger, der mit den Sticks ein umgedrehtes Kreuz zu formen versucht,
und der Bassist, der ganz offensichtlich nicht wußte, was er mit seinen Händen anfangen sollte, machen die unfreiwillige
Komik komplett. Zumindest im musikalischen Sinne wußte das Quintett schon eher zu überzeugen und stand bekannteren Genrevertretern
durchaus nicht nach, so daß sich diese Ausgrabung für Death-Metal-Anhänger, die sich an der unangenehmen Optik nicht stören,
durchaus lohnt. Zwei Bandmitglieder gründeten nach dem Aus 1993 eine neue Band, die sie im offensichtlichen Unwissen über den
früheren Iced-Earth-Namen Purgatory nannten und mit der sie noch heute aktiv sind, im Gegensatz zu Musical Massacre, die ihr
Schaffen mittlerweile mit ironischer Distanz bewerten, aber etwas arg viel Bierernst und Sendungsbewußtsein an den Tag legen,
wie die beiden Interviews im Eisenblatt Nr. 11 gezeigt haben.
(geschrieben von Roland Ludwig im Dezember 2015)
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